Warum es manchmal nicht sinnvoll ist, einen Hund durch brenzlige Situationen zu „keksen“

Welcher Hundehalter kennt das nicht: Dein Hund hat z.B. ein Thema mit Artgenossen. Wir erblicken in der Ferne einen solchen herannahen, zücken das Leckerchen und versuchen, unseren Hund, ohne dass es eine Pöbelei an der Leine gibt, am anderen Hund „vorbeizukeksen“.
Im „Idealfall“ vielleicht noch so, dass der eigene Hund den anderen Vierbeiner nicht mal gesehen hat.

Warum aber ist dieses nicht sinnvoll?
Nun, greifen wir auf das Beispiel zurück: Ich sehe einen anderen Hund, und lenke meinen eigenen mithilfe von Leckerchen ab, so dass er ihn nicht wahrnimmt und sich folglich nicht aufregt.
Was kann daran verkehrt sein?

Die einfache Antwort ist: Mein Hund lernt nichts dabei, denn ich verhindere, dass er sich mit der Konfliktsituation auseinandersetzt. Da er dabei nichts lernt, wird sich an seiner Problematik gegenüber anderen Hunden nichts ändern. Es bleibt ein Bangen und Hoffen, dass ich den anderen Hund schneller sehe als mein Hund es tut.

Der trainingstechnisch „feinere“ Weg ist der der Gegenkonditionierung. Das bedeutet im Klartext, dass ein fremder Hund mit einer positiven Erfahrung „belegt“ wird. Im Training würde das in Kurzform so aussehen: Mein Hund sichtet einen anderen Hund, ich spreche ihn an – und er erhält dafür einen Keks. Dauerhaft kann daraus die Lernerfahrung entstehen: Wann immer mein Hund einen Artgenossen sichtet und ich ihn anspreche, weiß er, dass er ein Leckerchen erhält.

Das ist durchaus für einige Situationen ein probates Trainingsmittel. Allerdings sehe ich dennoch einige Schwierigkeiten bei der Umsetzung, die ich im Folgenden auflisten möchte:

1.) Zunächst einmal ist der Trainingsweg zumeist ein langer. In einem hohen Erregungszustand, sprich, wenn der Artgenosse schon relativ nah ist, wird mein Hund nicht mehr ansprechbar sein, auch, wenn ich ein Kotelett vor seiner Nase schwenke. Es gilt also, anfangs auf sehr weite Distanzen zu trainieren und diese peux a peux zu verringern. Das kann mitunter Monate dauern.

2.) Hunde sind durchaus in der Lage, Prioritäten zu setzen. Superleckerchen hin oder her, je nachdem, was für eine Intention mein Hund mitbringt, interessieren ihn diese beim Anblick eines anderen Hundes nicht mehr. Stellen Sie sich vor, Sie stehen Ihrem Erzfeind gegenüber, mit dem Sie noch eine Rechnung offen haben und dem Sie gepflegt angestaute Wut entgegen schleudern wollen (So etwas soll es ja auch bei Menschen geben, richtig? Smilie: ;) ). Würden Sie sich dagegen entscheiden, bloß, weil jemand Ihnen einen BigMac anbietet? Wohl kaum.

3.) Was passiert, wenn ich einige Zeit keine Leckerchen mit mir herumtrage, aber mein Hund dennoch auf Artgenossen trifft? Richtig. Die Konditionierung wird abgeschwächt, bzw. verfällt.

4.) Die von mir persönlich als die erheblichste empfundene Problematik ist aber: Vorbeikeksen „behandelt“ die Sachlage auf einer materiellen Ebene – es ist ein Tausch, ein Überreden – und das hat rein gar nichts mit der Beziehungsebene zu tun. 
Genau das ist es aber, was mir im Leben mit einem Hund so wichtig ist. Ich möchte meinem Hund in Konfliktsituationen zeigen, dass er sich nicht um Probleme kümmern muss, mit deren Klärung er allein überfordert ist, sondern dass ich ihm zur Seite stehe und dieses tue. Das bezieht sich natürlich nicht auf kleine Problematiken, die im Leben eines Hundes natürlich sind, wie z.B. kleine „Reibereien“ mit Artgenossen, sondern auf Schwierigkeiten, denen er sich allein nicht ausreichend stellen kann. Diese Sicherheit, und diese Orientierung, kann nicht durch Leckerchen gewährleistet werden. Sie sind vielleicht ein kurzzeitiger „Schnuller“, so lange sie da sind, aber sie dienen nicht der Problemlösung und der Klärung von Rollen innerhalb der Mensch-Hund-Beziehung.

Also – was dann?

Mein präferierter Weg ist, dem Hund körpersprachlich zu zeigen, dass ich mich um Konflikte kümmere, die er nicht ausreichend bewältigen kann. Diese Form der Kommunikation gibt dem Hund Orientierung und entlastet ihn von einer Verantwortung, die die meisten Hunde gar nicht haben wollen.

Zusammenfassend bleibt also: Ein Keks kann in der ein oder anderen Situation ein probates Mittel sein. Gerade, wenn ich sehe, dass meinem Hund etwas wirklich schwer gefallen ist, finde ich es völlig legitim, mit einem Leckerchen zu unterstreichen, dass er sich toll verhalten hat. Aber dennoch wird ein Leckerchen für einen Hund niemals die soziale Unterstützung seines Menschen ersetzen.

(c) Johanna Pelz, www.miteinanderlernen.de

Kategorie(n): Allgemein, Führung

5 Antworten auf Warum es manchmal nicht sinnvoll ist, einen Hund durch brenzlige Situationen zu „keksen“

    Gabriele Keybe sagt:

    Hallo Johanna,
    unsere Mara haben wir anfangs mit Futtertreiben sehr gut an Artgenossen herangeführt, um uns überhaupt der Situation stellen zu können ohne dass sie panisch durchs Halsband schlüpfte und wegrannte. Dann hieß es üben, üben, üben. Auf unsere Gefühle und die Signale des Hundes zu achten, bis die Feinabstimmung stimmte. Irgenwann waren wir so selbstsicher, dass wir nur noch Leckerchen brauchten, um sie zu belohnen, wenn sie ohne Panik und Pöbelei an Artgenossen vorbei gekommen ist. Heute sind wir soweit, dass sie sich automatisch hinter uns einreiht und wir problemlos an Artgenossen vorbei gehen können, ganz ohne Leckerchen. Im Gegenteil, heute sind wir sogar in der Lage, dass wir mit mehreren Hunden in der Gruppe wandern gehen können. Die Leckerchen gaben früher eher mir die Sicherheit, die Situation besser kontrollieren und meinen Hund führen zu können. Die Routine bringt letztendlich das Selbstbewußtsein, welches mein Hund anfangs gebraucht hat und bei mir damals nicht gefunden hat. Ein Dank an all die uns entgegenkommenden Artgenossen, die mir dabei geholfen haben, meinen Hund zu verstehen und dir liebe Johanna für den Tipp des Futtertreibens.
    Lieben Gruß aus dem Rheinland von
    Tom, Gabi und Max mit Lello und Mara

      Johanna Pelz sagt:

      Liebe Gabi,
      die Situation, die Du mit Mara schilderst, ist eine, in der ich den Einsatz von Futter total sinnvoll finde. Wenn die Unsicherheit so groß ist, dass die Tendenz besteht, zu flüchten, dann ist Körpersprache in dem Fall auch nicht unbedingt das Mittel der Wahl. Futter kann gut als Brücke eingesetzt werden, um Stress über das Fressen abzubauen und dem Hund einen „Schnuller“ zu geben.
      Toll, dass es bei Euch so gut geklappt hat und Ihr das Problem nun im Griff habt! Smilie: :)
      Ganz liebe Grüße!
      Johanna

    Anja Dünow sagt:

    Hallo Johanna,

    gerade bin ich auf deine Seite gestoßen. Ich habe seit 10 Wochen einen Hündin aus einer Tötungsstation. Sie flippt bei anderen Hunden aus. Kreischt richtig und schaut kein bisschen auf mich. Ich versuche sie durch leckerlies aus der Situation heraus zuführen bzw. so erst das Austicken zu verhindern.
    Du schreibst:Mein präferierter Weg ist, dem Hund körpersprachlich zu zeigen, dass ich mich um Konflikte kümmere, die er nicht ausreichend bewältigen kann.

    Wie genau mache ich das? Wie kann ich dem Hund schnell kalr machen, dass sein Verhalten unerwünscht und vor allem unnötig ist? Vielen Dank!
    Liebe Grüße
    Anja

      Johanna Pelz sagt:

      Hallo Anja,

      solche Fragen lassen sich leider nicht mit einer Pauschalaussage beantworten. Ich lege in meiner Arbeit großen Wert auf individuelle Beratung. Das Verhalten Deiner Hündin kann verschiedene Ursachen haben – DIE Ursache herauszufinden, ist das A und O, um dauerhaften Erfolg zu haben. Eine pauschale Antwort zu geben wäre unseriös und würde nicht meiner Arbeitsweise entsprechen.
      Wenn Du Interesse an einer Einzelstunde hast, kontaktiere mich dazu gern wieder.

      Herzliche Grüße,
      Johanna

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