Irrtum 1: Hunde dürfen keine Zerrspiele gewinnen

Irrtum:
Auf Hundeplätzen und in Hundeparks geistert nach wie vor der Erziehungstipp herum, Hunde dürften bei Zerrspielen nicht gewinnen, sonst würden sie „dominant“.

Am Besten solle man gar keine Zerrspiele mit dem Hund machen, da man sich so auf ein Kräftemessen mit dem Hund einlasse. Gewinne dieses der Hund, erkenne er, dass er überlegen sei und werde sich fortan nicht mehr seinem Halter/seiner Halterin anschließen, stattdessen versuchen, die „Alphaposition“ zu erlangen. (Hui, da tut sich ein neues Thema auf Smilie: ;)). Biete man dem Hund überhaupt ein Zerrspiel an, so sei es wichtig, dieses immer zu gewinnen, damit der Hund von der Überlegenheit seines Menschen überzeugt werde.

Je mehr der Hund zerrt, desto mehr gibt der Mensch nach - bis der Hund letztendlich die Beute gewinnen darf.

Richtigstellung:
Ein Charakteristikum von Spiel ist Rollentausch. Spiel ist anders als die Realität – das wissen Sie, das weiß aber auch Ihr Hund.

Beobachten Sie einmal miteinander vertraute Hunde, bei denen Sie sich relativ sicher sind, zu wissen, wer der (größtenteils) überlegenere Hund ist. Hat er im Spiel eher eine fordernde Position? Oder eine zurückhaltende?
Allgemein gilt: Je überlegener ein Hund im Alltag ist, desto zurückhaltender muss er im Spiel sein, damit es funktioniert. Fordert der überlegene Hund im Spiel immer weiter, wird es nicht lange anhalten – weil es für den unterlegenen Part keinen Reiz hat.

Das bedeutet im Klartext: Ihr Hund zweifelt Ihre Überlegenheit nicht an, weil Sie ihn im Spiel gewinnen lassen. Ganz im Gegenteil bieten Sie ihm einen Ausgleich zur Realität: Fordern Sie hier Respekt ein und zeigen damit Ihre „Anführerschaft“ auf, schaffen Sie für Ihren Hund im Spiel den Gegenpol.

Denn: Was für ein Sinn hat ein Spiel, wenn einer immer der Verlierer ist? Würden Sie sich auf eine Runde „Mensch ärgere Dich nicht“ einlassen, wenn Sie bereits wüssten, dass Sie verlieren? Einmal vielleicht. Aber immer wieder? Vielleicht würden Sie es tun – einem anderen Menschen zuliebe, z.B. für Ihre Kinder oder Enkelkinder (sofern Sie welche haben). Sie ermöglichen ihnen den Sieg, erfreuen sich an ihrer Freude. Und genau das sollte im Idealfall beim Spiel mit dem Hund ebenfalls passieren: Sie ermöglichen ihm auch einen Sieg – einen Beuteerfolg. Und können sich an seiner Freude erfreuen.
(Eine kurze Zwischenfrage: Würden Sie für einen Erwachsenen freiwillig einen Sieg im Spiel aufgeben? Nicht so selbstverständlich wie für ein Kind, oder? Weil Sie bei einem Kind wissen, wie sehr es sich über seine Überlegenheit im Spiel freut – wie ein Hund eben auch…Smilie: ;)

Ein Grundbedürfnis von Hunden ist es, zu jagen, Beute zu machen. Sanktionsfrei können dieses die wenigsten Haushunde – außer, sie werden zur Jagd eingesetzt, mit Dummyarbeit ausgelastet usw. Gewinnt ein Hund das Zerrtau, hat er einen Beuteerfolg erlebt. Und trägt die Beute bestenfalls, mit der Rute wedelnd, das nächste Zerrspiel erwartend, wieder zu Ihnen heran. Was glauben Sie, wie ernst ein Hund diese „Überlegenheit“ seinerseits nimmt, wenn er mit seiner Beute wieder zu Ihnen kommt, sie Ihnen wieder anbietet? Allein das zeigt den Unterschied zur Realität auf.

Ja, das Selbstbewusstsein Ihres Hundes wird durch Zerrspiele gestärkt. Aber es nimmt dabei kein übersteigertes Ausmaß ein. Insbesondere für unsichere Hunde kann Zerren sehr positive Auswirkungen haben.

Wichtig: Bei all dem setze ich eine gesunde Mensch-Hund-Beziehung voraus, in der die Verhältnisse klar sind, d.h. in dem sich der Hund im Alltag (größtenteils Smilie: ;)) seinem Menschen anschließt. Verteidigt ein Hund Ressourcen vor seinem Menschen (z.B. Spielzeuge) sollte ein Trainer eingeschaltet werden. In diesem Fall sind die „Spielregeln“ weder für Mensch noch Hund eindeutig und müssen im Bereich der Führung neu gesteckt werden.

Für alle anderen gilt: Respekt und das Stecken von Grenzen durch den Menschen gehört in die Führung. Fordern Sie dieses im Spiel ein, erreichen Sie nur, dass Ihr Hund die Lust verliert. Warum wäre das schlimm? Nicht nur, dass Spielen mit dem Hund Spaß macht; erhält der Hund im Spiel Erfolge und darf er dort fordern, so ist er eher bereit, im Bereich der Führung Ihnen zu vertrauen und Sie schwierige Situationen managen zu lassen.

Ihr Hund weiß, dass Sie ihm überlegen sind und gewinnen könnten, wenn Sie es wollten. Gönnen Sie Ihnen beiden eine Auszeit von der Strenge. Lassen Sie Ihren Hund zerren, nach Erfolg mit dem Spielzeug Raum gewinnen. Und dann mit dem Spielzeug wieder zu Ihnen herankommen – weil es mit Ihnen viel mehr Spaß macht als allein!

Kategorie(n): Irrtümer in der Hundeerziehung

11 Antworten auf Irrtum 1: Hunde dürfen keine Zerrspiele gewinnen

  1. Hallo Johanna,
    habe am WE auch wieder von einer Kundin gehört, dass sie auf dem Hupla gelernt hat, dass ein Hund Zerrspiele niemals gewinnen darf, geschweige denn beim Spielen knurren. Denn dann würde er ja als nächstes beißen…
    Wie bereits in einem Kommentar erwähnt kenne ich das Ergebnis von „Zerrspiele nicht gewinnen lassen“ nur zu gut: Ein Hund, der dann eben gar nicht mehr spielt…was für ein Qualitätsverlust in der Beziehung. Smilie: :(
    Aber die spielt auf diesen Plätzen ja eh meist nur eine untergeordnete Rolle, hier geht es vorwiegend um Erziehung und Dominieren. War damals übrigens auch die Begründung, meinen nicht gewinnen zu lassen: „Einen Hund, der so groß und schwer wird, darfst Du ein Zerrspiel niiieeemals gewinnen lassen, sonst kriegst Du den nie wieder in den Griff…wenn der Dich erst mal dominiert.“

    Ich freue mich schon auf die Fortsetzung der „Irrtümer“. Stoff gibt´s da sicher mehr als genug…Smilie: ;)

    Liebe Grüße
    Heike

      Johanna Pelz sagt:

      Das Gespenst „Dominanz“ wird leider immernoch viel zu häufig aus der Trickkiste geholt – so als wollten unsere Hunde nichts anderes, als uns andauernd zu dominieren. Wie langweilig für sie, dann mit und zusammenzuleben…oder halten SIE UNS gar? So als praktische Nahrungsbeschaffer und Dosenöffner? Das würde natürlich alles auf den Kopf stellen Smilie: ;)

      Liebe Grüße!

  2. Hallo Johanna,
    toll wie immer. Leider bin ich zur Zeit lahm (Rücken) und kann nicht zerren. Aber Tao nimmt Rücksicht uns spuckt mir seinen Ball genau in die Hand und von da aus fliegt er genau in seinen Fang zurück, Gähn Smilie: ;)
    Bitte blogge fleißig weiter, vielleicht lerne ich ja noch was von dir.
    LG jESSI

      Johanna Pelz sagt:

      Liebe Jessi, ich klicke regelmäßig auf Deinen Blog und hoffe auf den ersten Artikel!
      Was macht der Rücken? Gute Besserung!

  3. Ja Johanna, du hast wieder prima beschrieben, wie wichtig auch Zerrspiele für ein gutes gemeinsames Spiel ist.

    Wird doch immer viel über die Beschäftigung der Hunde gesprochen und die Angebote für die Hundhalter sind so groß wie nie. Wäre es nicht wieder an der Zeit einfach mit seinem Hund zu spielen? Wir haben dies schon wieder aufgenommen und erfreuen uns an der Freude unserer Hunde. Genau das kann ich nur jedem Hundehalter auch wieder an die Hand geben.

    Und so schön wie du es wieder beschrieben hast, hat so ziemlich jeder Leser nun wieder Lust mit seinem Hunde zu balgen und zu zerren, oder?

      Johanna Pelz sagt:

      Liebe Nadja,
      Vielen Dank für Dein Feedback Smilie: :)
      Was Du ansprichst, wenn Du von den zunehmenden Beschäftigungsangeboten schreibst, ist ja ein weiterer sehr wichtiger Punkt: Die Unterscheidung zwischen Spiel und Teamwork. Ich glaube eine Tendenz zu erkennen, dass die Angebote an Teamwork immer größer werden (was ja durchaus nichts schlechtes ist), aber das „einfache“ Spiel in den Hintergrund rückt. Dabei besteht die Gefahr, dass Teamwork ohne Basis der Spiel-Motivation nicht funktionieren kann – zumindest nicht so freudig, wie gewünscht.
      Liebe Grüße!

    Katharina Stein sagt:

    als wir unsere staff-hündin aus dem tierheim holten, war ich sehr verunsichert, daher habe ich mich an vielem orientiert, was man eben auf dem hundplatz so hörte. vieles war sehr unlogisch für mich. dann fing ich an mir entsprechende bücher zu kaufen. u. a. von bloch, da wurde mir schnell klar, wie recht er hatte. wir machten zerrspiele mit ihr und ließen sie auch gewinnen, nicht immer aber… genauso durfte sie auf sessel und couch liegen. sollte sie diese verlassen war das alles kein problem. ganz am anfang hat sie mal so ein bisschen ausgetestet, wie weit sie gehen konnte, ansonsten hatten wir den liebsten familienhund. ich denke ein bisschen gesunder menschenverstand und der hund ist gut erzogen und glücklich. lg katharina

      Johanna Pelz sagt:

      Hallo Katharina!
      Ich glaube, das, was Du beschreibst, kennen viele: Als noch unbedarfter Ersthundbesitzer glaubt man den Ratschlägen von (eigens so ernannten Smilie: ;)) „Experten“ – obwohl man sich möglicherweise nicht gut fühlt mit dem, wie man es tut – und es vom eigenen Bauchgefühl ausgehend anders gemacht hätte.
      Verrückt, dass wir (Ich schließe mich mit ein), dann erst Bücher lesen müssen, um zu diesem Gefühl zurückzufinden, oder? Smilie: ;)
      Nur vom eigenen Menschenverstand auszugehen finde ich, insbesondere noch einmal seit ich „Affe trifft Wolf: Dominieren statt kooperieren?“ von Bloch gelesen habe, auch nicht ausreichend. Dafür bestehen zu große Unterschiede in der Entwicklung/in der Bedürfnislage von Mensch und Hund. D.h. Wissen um die Bedürfnisse eines Hundes sollte man sich schon aneignen (Wie Du es ja auch über Bücher getan hast). Alles, was sich zwischen Verstand und Fachwissen abspielt, das, was man erreicht, wenn man den Kopf zur Ruhe zwingt, nenne ich mal einfach – Fühlen. Folgt man dem, dann ist Mensch und Hund wohl am glücklichsten. Smilie: :)

      Viele Grüße!

  4. Vielleicht geht es Hunden gar nicht um das Objekt. Das Zerrtau ist lediglich ein Vermittler, der eine bestimmte Form von Spiel möglich macht. Und je nachdem, wie der Mensch das Spiel von sich aus mitgestaltet, erlebt sein Hund ihn.

    Hat Mensch Angst, sein Hund könnte wegen eines Zerrspiels aus den Bahnen laufen, dann wächst im Hund wohl kaum Vertrauen in die Führungsqualität seines Menschen, wenn es mal wirklich um was geht.

    Meine Überzeugung: ein Hund, der im Spiel zerrt, vertraut seinem Spielpartner Mensch, dass der es mit Humor nimmt. Ein Hund, der nicht zerrt, traut seinem Partner nicht, dass er es dürfte – wenn der ihn nur ließe…

    LG. Mirko

  5. Hallo zusammen,

    Es ist schön auf diese Seite gestoßen zu sein.
    Ich als langjähriger Schutzhundeführer kann diese These nur bestätigen.
    Ein Hund der nicht spielt, lernt nicht.
    Ein Hund der nicht lernt, gehorcht nicht.
    Ein Hund der nicht gehorcht ist unführbar.
    Denn gelernt wird primär durch positive Verstärkung.
    Spielen ist eine positive Verstärkung und bindet das Herrchen mit dem Hund und umgekehrt.
    Im übrigen sind diese Knurrlaute nichts anderes als wie Freude beim Spielen.
    Sehen Sie sich allein die Körperhaltung bei den Zerrspielen an.
    Da ist nichts von Boshaftigkeit oder eingezogener Rute.
    Auch das Aufstellen der Haare fehlt.
    Es macht den Hund schlichtweg Freude.
    Wir als Schutzhundeführer brauchen sehr intensiv diese Verbindung zum Hund um zu gewährleisten dass der Hund im Einsatz sich jederzeit wieder unterordnen kann.
    Spielen ist für den Hund enorm wichtig genauso wie für den Menschen denn es prägt das Verlieren und Gewinnen ein Leben lang für das soziale Leben.

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