Zum kritischen Einsatz der Reizangel

Im aktuellen Prospekt eines Tierfachgeschäfts findet sich eine Werbung für die so genannte „Reizangel“.

Noch nie gehört?

Wie der Name schon sagt, handelt es sich dabei um einen Teleskopstab mit einer Schnur, einer Angel ähnlich. An der Schnur lässt sich ein Spielzeug, ein Dummy o.ä. befestigen. Die Angel wird vor dem Hund bewegt und so wird das Beuteobjekt „zum Leben erweckt“ und der Hund animiert, diesem zu folgen.

So weit klingt es nach einem schönen Spiel, einer schönen Auslastungsmöglichkeit. Als letzteres wurde die Reizangel bereits von einem bekannten Hundetrainer im Fernsehen empfohlen. Zwanzig Minuten Training an der Reizangel, so dieser, würden einen Spaziergang von anderthalb Stunden ersetzen.

Ich sehe diese Aussage und auch so ein Gebrauch der Reizangel jedoch als sehr kritisch an.

Gerade jagdlich ambitionierte Hunde werden durch unkontrolliertes Hetzen des Objekts an der Reizangel in ihrem Jagdverhalten gestärkt. Sie lernen, einem Bewegungsreiz ohne, dass sie Impulskontrolle aufbringen müssen, einfach hinterherlaufen zu dürfen und dann letztendlich (wenn sie nämlich schneller sind als wir und das Objekt fangen) zum Erfolg zu kommen. Diese Erfahrung übertragen viele Hunde auf tatsächliche Beuteobjekte – zum Beispiel, wenn ein Hase über den Weg läuft. Wird die Reizangel so eingesetzt, dann ist sie KEINE Alternative zum Jagen, die den Hund davon abhält, dieses im Ernstfall zu tun. Stattdessen fördert sie das Hetzverhalten und kann dazu führen, dass der Vierbeiner erst Recht dem Reh hinterherläuft. Wenn ein Hund bereits bei einem Spieli, das sich schnell bewegt, keine Impulskontrolle aufbringen kann, wie soll er es dann bei echter Beute können?

Auch können die schnellen Stopps und Richtungswechsel, die passieren, wenn man de Angel hin- und her schwenkt, negative Auswirkungen auf die Gelenke haben – gerade bei schweren Hunden, bzw. solchen, die mit dem Bewegungsapparat Probleme haben.

„Hibbelige“ Hunde, die viel Temperament mitbringen, werden durch die Reizangel nicht wirklich körperlich ausgelastet, wie propagiert – die schnellen, stereotypen Bewegungsabläufe schütten körpereigene Glückshormone aus und so kann sich eine regelrechte Sucht entwickeln, die dazu führt, dass der Hund nicht mehr zur Ruhe kommt und immer mehr fordert.

Trotz allem ist die Reizangel generell kein schlechtes Trainingsinstrument – wobei die Betonung eben auf „Training“ liegt.
Wenn man sie einsetzt, um den Hund, wie Fichtlmeier es mal ausdrückte ,„zur Ruhe zu reizen“, kann sie wertvolle Dienste im Bereich der Impulskontrolle und des „Anti-Jagd-Trainings“ leisten.
Dazu lernt ein Hund, Ruhe einzuhalten, wenn das Objekt an der Reizangel vor seiner Nase bewegt wird. Später wird über die Angel ein Stopp-Signal etabliert und gefestigt. Im Idealfall wird das Training so konsequent durchgeführt, dass der Hund während der sich bewegenden Reizangel beim Hetzen gestoppt werden kann. Kann ein Hund dieses bei der hohen Reizlage durch die Ersatzbeute leisten, so ist die Chance gut, dass er es auch bei einem wirklichen Beuteobjekt kann.

Das Training sollte kurz gehalten werden, jeweils nur wenige (!) Minuten am Stück, um das Sternsystem des Hundes nicht zu sehr „anzuheizen“.

Fazit
Ein unkontrollierter Einsatz der Reizangel kann mehr negative als positive Auswirkungen haben, insbesondere in Bezug auf das Jagdverhalten, den Bewegungsapparat und die Gefahr einer Suchtentwicklung.

Wird die Reizangel in Maßen und gezielt zum Aufbau und der Festigung von Impulskontrolle und Kommandos verwendet, kann sie hilfreich sein. 
Bitte achten Sie darauf, dass sie den Hund nicht unkontrolliert, das heißt, ohne Freigabe, das Objekt hetzen und auch nicht fangen (!) lassen, sondern erst auf Ihre Freigabe hin. Suchen Sie Hilfe bei einem Trainer, der Ihnen dieses zeigen kann. Setzen Sie die Reizangel nur ab und an und dann nur für wenige Minuten ein.

Als reine „Auslastungsmöglichkeit“ ist die Reizangel nicht geeignet – dafür gibt es zahlreiche Alternativen, die Ihren Hund sinnvoller auslasten.

(c) Johanna Pelz, www.miteinanderlernen.de
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Kategorie(n): Allgemein, Spiel, Training

3 Antworten auf Zum kritischen Einsatz der Reizangel

  1. Vielen Dank für diesen Artikel – er spricht mir aus der Seele. Die Reizangel ist ein tolles Teil, solange sie mit Herz und Hirn eingesetzt wird. Doch es gibt genügend Hunde, die eher tot umfallen würden, als von selber anzuzeigen, dass sie eigentlich erschöpft sind. Und unbedachte Hundebesitzer denken nicht an das Herz-Kreislaufsystem ihres Vierbeiners oder an die Auswirkungen auf die Gelenke. Zudem – wie im Artikel – angesprochen, das Hetzverhalten tatsächlich durch die Reizangel gefördert werden kann. Schade, dass „Hundetrainer“ im Fernsehen solche Tipps geben, oberflächlich und ohne die negativen Aspekte zu beleuchten. Als Fernsehzuschauer oder sonstiger „Lern-Konsument“ erwarte ich jeweils immer beide Seiten einer Medaille präsentiert zu bekommen – für all jene nämlich, die gerne nur nachmachen, ohne ihren Denkapparat einzuschalten.

    LG

    Martina

    barbara schaffert sagt:

    Hatte die Sache mit der Reizangel aufgegeben, weil mein Draußen-Wilder-Watz und Jagd-Renner nur auf- und überdrehte. Nun weiß ich, dass das klug war. Und werde sie – welch eine phantastische Idee – in mein Immer-Mal und Überall-Training der Impulskontrolle einbinden. Danke.

    Bin übrigens begeistert von Ihren sehr qualifizierten Texten.

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