Komm her oder ich keks Dich!

Über den Einsatz von Leckerchen auf dem Spaziergang

Leckerchen

„Ich nehme auf Spaziergängen grundsätzlich keine Leckerchen mit. Mein Hund soll auch ohne Leckerchen auf mich hören.“
Diesen Satz höre ich oft. Auf der anderen Seite sehe ich auch das: Hundehalter, die ihrem Hund für alles einen Keks geben – selbst, wenn er fünfmal ein Kommando ignoriert hat.

Aber was ist denn nun richtig? Macht es Sinn, generell kein Futter mitzunehmen , um sicher zu gehen, dass mein Hund tatsächlich nur auf mich „hört“ (Ich setze es in Anführungsstriche, weil ich schwerpunktmäßig sprachfrei, d.h. ohne Kommandos arbeite) und nicht nur wegen des Leckerchens reagiert? Oder ist es legitim, meinem Vierbeiner ständig einen Keks in die Schnüss zu schieben, weil wir Menschen ja, wie es mal so schön hieß, auch nicht „ohne Geld arbeiten gehen“?

Ich halte weder das Eine, noch das Andere für richtig.
Ich persönlich mag es nicht, das Gefühl zu haben, der Gehorsam meines Hundes sei erkauft – eine gute Beziehung lässt sich nun einmal nicht herbei füttern. 

Andersherum finde ich, man beschneidet sich einiger Möglichkeiten, wenn man generell keine Leckerchen auf Spaziergänge mitnimmt. 
Damit meine ich nicht, dass ich Sorge habe, dass meine Hunde ohne Futter nicht auf mich „hören“. Ich beraube meine Hunde und mich selbst um viele Spielmöglichkeiten, die einen Spaziergang spannend gestalten.

Spielmöglichkeiten? Genau!
Futter kann man nicht nur als Belohnung geben, wenn der Hund ein Kommando befolgt hat. Es kann als Motivator, als eine Brücke zwischen Mensch und Hund, genutzt werden, um miteinander zu spielen oder gemeinsame Teamarbeit zu erledigen.

Die Varianten sind vielfältig und bunt: Angefangen von kleinen Fährten, die Mensch auslegt, bis zu futtermotivierten Spielereien rund um den menschlichen Körper. Der Hund kann zum Beispiel das Leckerchen durch die Beine verfolgen, dabei nur einmal durchlaufen oder eine Acht vollführen etc. (Anregungen dazu gibt es in Videos auf meiner Seite.)
Dabei geht es nicht primär darum, einen toll aussehenden Trick zu erlernen – das ist nur ein netter Nebeneffekt. Vielmehr geht es darum, die Erwartungshaltung des Hundes dahingehend zu verändern: “Bei meinem Menschen ist es spannend! Warum also in die Ferne schweifen, wo das Schöne doch so nah ist?“

Für mich gehört der Einsatz von Futter gedanklich in den Bereich des Spiels. Ich trenne die Bereiche Führung und Spiel. 

 

Im Bereich der Führung fordere ich Dinge ein, ohne dass ich dem Hund in dem Moment konkret etwas dafür gebe. Ich tue es, weil ich mir selbst das Recht dazu gebe, es einzufordern. Warum? Weil ich meinem Hund dafür im Gegenzug alles gebe, was er braucht: Ein Zuhause, Orientierung, Geborgenheit und die Sicherheit, dass ich mich um brenzlige Situationen kümmere.
Weil ich weiß, dass ich all das für meinen Hund aufbringe – und weil mein Hund dieses auch weiß – muss ich ihm nicht für jedes Mal, wenn er sich an mir orientiert oder auf mich „hört“ ein Leckerchen geben.

Überspitzt ausgedrückt bedeutet die Gabe von Futter, dass ich den Hund überrede: „Komm, tu es bitte, dann bekommst Du auch einen Keks.“
Das hat zum einen den großen Nachteil, dass der Hund eventuell entscheidet: „Nee, sorry, Frauchen. Ich bretzel jetzt doch lieber über die Straße zum anderen Hund – danach kriege ich eh noch ein Leckerchen, kenne ich doch!“
D.h., dem Hund wird die Wahl gelassen, abzuwägen: Was ist mir gerade wichtiger: Der ablenkende Reiz oder das Futter?
Nicht auszudenken, was passiert, wenn die Leckerchen aufgefressen sind oder mal vergessen wurden… muss Hund dann gar nicht mehr folgen?
Und selbst wenn der Hund sich für das Leckerchen entscheidet – wie oft habe ich Hunde gesehen, die sich schnell das Futter abholen – nur um dann fix dorthin zu laufen, von wo der Halter sie gerade abgehalten bzw. -gerufen hat…

Zum anderen gefällt mir persönlich der Ansatz auch nicht, jegliches Folgen zu erkaufen. Wie oben bereits erwähnt: Ich biete meinem Hund alles, was er braucht. Ich finde, das ist jede Menge – braucht es da wirklich immer einen Keks?

Betrachten wir einmal soziale Beziehungen von Hunden untereinander. Dort gibt es, stark vereinfacht ausgedrückt, solche, die anführen und solche, die folgen. Die, die folgen, tun es nicht, weil sie mit Futter „bestochen“ werden – sondern weil sie wissen, dass sie den führenden Hunden vertrauen und sich ihnen anvertrauen können. So sollte es im Idealfall auch in der Mensch-Hund-Beziehung sein.

In den Augen eines Hundes wird man nicht souveräner und vertrauenswürdiger je mehr Futter man verteilt. Ganz im Gegenteil: Was soll ein Hund von einem „Leittier“ halten, das er mehrmals ignorieren darf – nur um dann beim Zurückkommen nach etlichem Rufen trotzdem ein Leckerchen zu bekommen? Vor allem lernt er: Es ist nicht schlimm, meinen Menschen zu ignorieren; ich komme doch noch zu meinem Keks.

Aber, kommen wir zum Anfang zurück: Was bedeutet das nun? Kein Futter auf Spaziergängen? Oder doch?
Generell lässt es sich auf diese kurze Formel zurückführen: Im Bereich der Führung verteile ich kein Futter. Im Bereich des Spiels setze ich gern Futter ein.

Vor allem aber gilt wie bei allem: Dogmatismus ist fehl am Platz! 
Lehne ich den Einsatz von Futter per se ab, beraube ich mich, wie erläutert, vieler Spielmöglichkeiten. Futter ist, insbesondere bei Tierschutzhunden, oft die einzige Möglichkeit, (zumindest anfangs) in ein gemeinsames Spiel zu starten. Spiele ich mit dem Hund auf Spaziergängen, beschäftige ich ihn in meiner Nähe – so verringert sich automatisch sein Radius. Er muss nicht in die Ferne schweifen, um sich dort interessante Beschäftigungsmöglichkeiten zu suchen, sondern findet attraktive Angebote bei mir. Warum sollte ich es mir erschweren, und einen Spaziergang nur über „Führung“ (lautsprachliche Kommandos oder körpersprachliches Begrenzen von Raum) gestalten? Das finde ich zum Einen für mich selbst anstrengend; zum Anderen ist es aber auch für meinen Hund anstrengend und wenig spaßig. Und letztendlich besteht doch eine gute Beziehung aus beidem: Ernst UND Spaß!

Was sich die meisten wünschen, ist, dass ihr Hund sich in einem überschaubare Radius zu ihnen aufhält. Aber was soll er dort tun? Es bedarf schon ein wenig Aufmerksamkeit des Menschen, ihm dort Angebote zu machen, so dass die Radius-Einschränkung nicht nur über Führung passiert, sondern der Hund sich freiwillig und gern nahe beim Menschen aufhält, weil es dort spannend ist.

Orientiert sich Ihr Hund an Ihnen, schaut er sie an, gehen Sie auf das Gesprächsangebot ein: Gehen Sie zum Beispiel in die Hocke und „rufen“ so Ihren Hund körpersprachlich heran. Wenn er bei Ihnen ist, dann geben Sie ihm nicht direkt ein Leckerchen nur für sein Herankommen, sondern bieten ihm ein kleines futtermotiviertes Spielchen nah bei Ihnen an. So steht das Spiel im Vordergrund, nicht nur der Keks; zumal das Spiel Ihren Hund länger bei Ihnen hält – und weitaus attraktiver ist als „nur“ ein Leckerchen.

ABER: Bei all dem Prinzip „In der Führung gibt es kein Futter“ gilt für mich: Wenn Sie sehen, dass es Ihrem Hund besonders schwer gefallen ist, sich von einem Reiz (zum Beispiel einem Hasen, einer attraktiven Hündin) zu lösen, und er sich stattdessen trotzdem zu Ihnen gewandt hat: Lassen Sie mal Fünfe gerade sein und vergessen Sie mal das Prinzip. Ihr Hund hat gerade eine schwere Leistung vollbracht – belohnen Sie ihn dafür. Das muss nicht zwangsläufig mit einem Keks passieren – aber es darf auch mal!

Und ansonsten: Lassen Sie Ihrer Kreativität in punkto Futterbeschäftigung freien Lauf! Wenn ihre Beziehung im Bereich der Führung generell stimmig ist, verschenken Sie sich keinerlei Autorität, wenn Sie Futter auf einem Spaziergang immer wieder spielerisch einsetzen, um Ihren Hund in Ihrer Nähe zu beschäftigen.

Wenn Sie wissen, dass Ihr Hund auch ohne Futter auf Sie „hört“ – und er es auch weiß – dann brauchen Sie nicht auf Futter zu verzichten. Berauben Sie sich nicht der Spiel- und Beschäftigungsmöglichkeiten, die der Einsatz von Leckerchen bietet.

Alles, was Ihr Hund aus Freude tut, müssen Sie nicht über Führung einfordern!

In diesem Sinne: Sehen Sie einen Spaziergang als Qualitätszeit für Sie UND Ihren Hund! Lassen Sie es sich gut gehen und haben Sie Spaß!

 

Kategorie(n): Allgemein

2 Antworten auf Komm her oder ich keks Dich!

  1. Hey Smilie: :-)

    Auch hier wieder: Daumen hoch. Super Text, sprichst mir aus der Seele.

    Von meiner Seite kann ich noch anfügen, dass ich es absolut natürlich finde, dass der Hund sich auf „der Jagd“ (auf dem Spaziergang, weil Hunde gehen ja, im Gegensatz zu uns Menschen, nicht einfach mal so spazieren), den Hund sein Futter erarbeiten kann. Das sind dann aber auch nicht zwingend super-Leckerlis sondern wirklich sein Trockenfutter.
    Das wird mittels Futterbeutel versteckt, der Hund sucht und darf etwas davon haben.
    Ebenso verstecken wir auch immer wieder einzelne Futterstücke im Wald (in Baumrinden, auf umgefallenen Baumstämmen, in Wurzeln und Erdhaufen) und die Hunde dürfen diese dann erschnüffeln. Ich liebe diese Beschäftigungsarten, ich liebe es, den Hunden beim Suchen zuzusehen, ihren Elan, ihre Freude zu beobachten. Für die Hunde macht dieses Spiel nämlich auch Sinn. Wie Du aber auch schreibst, mit „Führung“ hat dies wenig zu tun, mal abgesehen davon, dass der Hund wartet, bis ich ihn für die Suche freigebe und er bei mir Hilfe anfordern kann, wenn er grad mal nix mehr findet und ich ihm dann einen guten Tipp geben kann. Smilie: :-)

    Herzliche Grüsse
    Danae Schwegler

      Johanna Pelz sagt:

      Hallo Danae,

      ich habe auch überhaupt nichts gegen den Einsatz von Futter im Außenbereich.
      Gerade das alternative „Jagen“ von Futter, sei es über Schnüffelspielchen oder die Kooperation mit dem Menschen mittels des Futterbeutels halte ich für eine sinnige Beschäftigung. Ich setze viel Futter ein, um meine Hunde zu beschäftigen – allein schon, weil bei meiner Hündin aufgrund ihrer früheren Ballsucht der Einsatz von Objekten unmöglich ist.
      Aber das hat ja auch nichts mit „Bestechen“ zu tun – es ist eben der Ausgleich und der gemeinsame Spaß, der genau so zum Leben mit dem Hund gehört, wie eben Grenzen. Weder das eine, noch das andere sollte im Idealfall zu sehr überwiegen.

      Herzliche Grüße,
      Johanna

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