Der „Problemhund“

Immer wieder lese ich auf Seiten von Hundetrainern oder auch in Foren von dem so genannten „Problemhund“. Einige Trainer berechnen sogar mehr Geld als gewöhnlich für die Therapie von „Problemhunden“.
Sie sehen, ich setze das Wort bewusst in Anführungszeichen.
Warum ich das tue? Weil ich mich immer wieder frage, was denn ein „Problemhund“ eigentlich ist.

Das Wort setzt sich aus den Begriffen „Problem“  und „Hund“ zusammen. Die erste Frage, die sich auftut, ist: Wer hat das Problem? Ist es der Hund? Oder der Halter (mit dem Hund)?

„Das „Problem“ ist subjektiv! Smilie: ;)

Ein Problem ist etwas, das subjektiv empfunden wird.
Ein Sachverhalt, den sehr viele Halter als ein echtes Problem bezeichnen würden, wäre z.B. ein Hund, der andere Menschen angeht. Sie werden wahrscheinlich gerade denken: „Klar ist das ein ernstzunehmendes Problem!“
Natürlich will ich das nicht wegdiskutieren.
Aber überlegen wir mal weiter:
Für andere Halter ist es vielleicht ein Problem, wenn der Hund an der Leine Artgenossen anbellt.
Für wiederum andere Menschen kann es ein echtes Problem sein, wenn der Hund sich nicht an ihnen orientiert und im Wald eigene Wege geht.

Die genannten Fälle sind Beispiele für Probleme, die der Halter als solche definiert, weil sie ihn in seinem Leben mit dem Hund einschränken.
Niemand möchte einen Hund haben, der andere Menschen angeht.
Den meisten ist es lieber, ihr Hund geht friedlich an Artgenossen vorbei, anstatt sie „anzuzicken“.
Einige möchten, dass ihr Hund ihnen viel Aufmerksamkeit auf Spaziergängen schenkt – anderen ist es vielleicht nicht so wichtig, weil sie selbst gern ein wenig in Gedanken versunken durch die Natur gehen.
Wo positionieren Sie sich?

Vielleicht sagen Sie jetzt: „Es geht ja gar nicht um MEIN Problem, ich stehe über dieser oder jener Sache – der HUND hat das Problem!“
In diesem Fall würde ich zunächst fragen: „Woran sehen Sie das? Ist es ein bestimmtes Gefühl, dass Sie haben? Gibt es objektive Kriterien?“
Ein Fall könnte so aussehen: Ein Hund, der in reizarmer Umgebung aufgewachsen ist (z.B. Tötungsstation) und über den Tierschutz zu einem Halter in eine Großstadt vermittelt wurde, ist extrem unsicher gegenüber Umweltreizen. Insbesondere beim Vorbeifahren von LKW versteckt er sich hinter seinem Halter, klemmt die Rute ein und fängt an zu zittern. Er ist nicht mehr ansprechbar, bis der LKW verschwunden ist.
In diesem Fall, so würden die meisten sagen, liegt ein objektiv wahrnehmbares Problem vor. ABER:
Dieses Problem ergibt sich aus seiner momentanen Lebenssituation. Lebte der Hund z.B. auf dem Land und würde seine tägliche Spaziergehroute statt an der Inneren Kanalstraße in Köln über Wiesen und Felder gehen, fernab vom Stadverkehr, wäre das „Problem“ nicht vorhanden.

Was ist mit einem Hund, der von einem Halter als „ängstlich“ oder „besonders unterwürfig“ beschrieben wird?!
Auf  Nachfrage würde der Halter vielleicht so etwas beschreiben wie: „Immer wenn ich ihm Futter aus der Hand geben will, macht er sich ganz klein und robbt fast über den Boden.“
Wie hört es sich für Sie an, wenn ich in diesem Fall sage: „Ja, der Hund hat eine große Menge an Respekt, wenn es um eine wichtige Ressource (Futter)  geht; vielleicht mehr, als er haben müsste. Aber er ist deswegen automatisch ängstlich.“?
Ist der Vierbeiner dann noch ein „Problemhund“? Oder ist er ein sehr vorsichtiger Hund, dem man mit Unterstützung noch zu mehr Selbstbewusstsein verhelfen kann?
Merken Sie den Unterschied im Denken? 

Nun – was also definiert einen „Problemhund“? Ich denke, Sie haben es selbst herausgelesen: Er wird immer als solcher gesehen abhängig vom Kontext, im Näheren also vom Halter und seiner Umwelt.

Nun – warum befasse ich mich so ausführlich mit dem Thema?
Weil es den „Problemhund“ per se nicht gibt!
Es existiert keine Hunderasse mit dem Namen – dieser Hund existiert in unseren Köpfen.
Für uns ist es ein Hund, dem es schwer fällt, sich an eine bestimmte Lebenssituation anzupassen; einer, dem wir ein Problem zuschreiben – oder mit dem WIR ein Problem haben (und ein anderer Halter vielleicht nicht – weil er andere Ansprüche hat oder seine Lebenssituation eine andere ist).

Noch einmal: Ich möchte keine ernstzunehmenden Probleme kleinreden. Es gibt Eigenschaften oder Verhaltensweisen an einem Hund, die wir besser im Auge behalten bzw. bearbeiten, damit wir in unserem Alltag gut mit diesem Vierbeiner leben können.

Bezeichnen wir aber einen Hund als „Problemhund“, nehmen wir nur das Defizitäre in Augenschein und blenden all das aus, das dieser Hund an positiven Eigenschaften mitbringt.
Und das ist ein bisschen so, als würden Sie lauthals über andere Autofahrer im Straßenverkehr schimpfen und man sähe Sie deshalb generell als „Problemtypen“ an. Smilie: ;)

Vielleicht „unterstellen“ wir einem Hund manchmal Charaktereigenschaften, die er gar nicht besitzt – aber die wir so wahrnehmen. Ertappen Sie sich manchmal dabei, dass Sie einen Hund als „abhängig“ bezeichnen, weil er nah bei seinem Halter ist? Ist dieser Hund wirklich abhängig? Woran merken Sie das? Oder spricht vielleicht eine besonders unabhängige Stimme aus Ihnen, die den Hund so wahrnimmt? Smilie: ;)
Ist ein Hund, der Respekt zollt, wenn es um eine Ressource geht, wirklich ängstlich? Oder tut er nur gut daran, respektvoll zu sein, weil er weiß, dass sein Halter letztendlich darüber bestimmt, wer das Objekt der Begierde haben darf?

Bei allem gilt:
Ein Hund besteht nicht nur aus „einem Problem“.
Und manchmal ist das, was sich nach außen manifestiert gar nicht die Ursache...
Unsere Hunde haben das Recht darauf, ganzheitlich betrachtet zu werden.

Deswegen bitte ich Sie: Seien Sie selbstkritisch und fragen sich immer mal wieder: „Ist es ein Problem? „Wessen Problem ist es?“  Und vor allem: „Könnte ‚das Problem‘ auch etwas anderes sein?

Und nicht zuletzt: Interessieren Sie sich demnächst für ein Coaching bei einem Hundetrainer, der „Problemhunde“ gesondert berechnet, fragen Sie doch einfach mal nach, was ein „Problemhund“ ist. Ich bin gespannt, ob seine und Ihre Definitionen zu einander passen. Smilie: ;)


In diesem Sinne: Herzliche Grüße!

Kategorie(n): Allgemein

4 Antworten auf Der „Problemhund“

  1. Liebe Johanna,

    ich habe den Beitrag noch nicht gelesen, denn ich will meine Meinung zum Thema unbeeinflusst abgeben.

    Es gibt keine Problemhunde, genau so wenig wie es Problemmenschen gibt.

    Es gibt aber Hunde und Menschen, die ein Problem haben, das immer seine Ursache in irgendeinem Erlebnis, einem psychischen Trauma oder was auch immer haben.

    Bissige Hunde oder Menschen in Hochsicherheitsgefängnissen sind keine Problemhunde oder Problemmenschen, sondern immer Wesen, die die Welt vergessen hat zu lieben.

    Eine ganz große Seele unserer Zeit hat die Antwort auf all diese Fragen und auch auf dieses Thema in einer einzigen Liedzeile beantwortet:

    „… start with the man in the mirror!“

    Alles Liebe
    Henry

      Johanna Pelz sagt:

      Hallo Henry!

      Danke für Deinen Kommantar.
      Vielleicht magst Du den Artikel ja noch lesen (oder hast es schon getan Smilie: ;)) – dann wirst Du nämlich feststellen, dass ich es ganz ähnlich sehe. Smilie: ;)
      Und was die bissigen Hunde angeht… Du hast recht, das tut kein Hund gern. Unsere Aufgabe ist es, diesen Hunden zu zeigen, dass es einen anderen Weg gibt, auf dem sie nicht beißen müssen, weil der Mensch in kritischen Situationen wieder seinen Job übernimmt. (Vielleicht aber in anderer Form als durch Beißen. Smilie: ;))

      Herzliche Grüße,
      Johanna

    Christine Gurr-Molzberger sagt:

    Guten Abend, auf der Suche nach Kommentaren zum Thema „Hund im Bett“ bin ich auf Deine Seite gestoßen und muss sagen, dass mich alle Artikel die ich bisher gelesen habe, sehr ansprechen. Auch ich habe einen Hund mit einem Problem: reizarm aufgewachsen, zu uns in eine Kleinstadt gekommen, hat unsere „kleine Prinzessin“ (schnuffeliger, goldiger Golden Retriever), leider große Angst bei lauten Geräuschen/Bewegungen, zu Hause und in der Stadt. In allen anderen Bereichen ist sie super entwickelt, sehr selbstsicher in Umgang mit Menschen und Artgenossen/Katzen, sehr gut sozialisiert, sehr intelligent, aufmerksam, neugierig, hilfsbereit, 2 Jahre alt. Allerdings hatte ich vor einem halben Jahr erste ernste Probleme mit ihr, jagen von Reh/Hase/Fahrrad-und Mopedfahrer je 1x, sowie Abrufprobleme.
    Ich habe 4 Hundetrainer ausprobiert und von jeder Art einen dabei gehabt. Keiner hat den Hund und mich gesehen, von „Keksen bis zum Abwinken“, über „ja bei der Rasse“ bis „Elektrohalsband“ und grobe Handgreiflichkeiten war alles dabei. Preise von 45,- bis 60,- € die 45 Min.Stunde. Keine Fragen am Telefon, kein Training vor Ort.
    Nun habe ich eine geprüfte Hundetrainerin in meiner Stadt gefunden, die genau das repräsentiert, was ich in Deinem Artikel über die Trainersuche gelesen habe. In der ersten Stunde, die ich mit meinem Hund hatte, wusste ich, so stelle ich mir das Training für mich und meinen Hund vor. Grundlage für jedes Hundetraining ist die Arbeit mit dem Hundebesitzer. Ich weiss jetzt, dass ich einen hochintelligenten, sehr aufmerksamen gleichermaßen sensiblen Augen, Nase, Ohren Hund habe, dem ich zwar vieles beigebracht habe, weil ich in der Lage bin seine „Leistungsangebote“ zu erkennen und zu fördern, aber den Hund nicht wirklich „geführt“ habe.
    Jetzt, wo ich dem Hund mehr zeige, wo es lang gehen soll, an der Leine gehen nicht mehr schrecklich für den Hund finde, tägliche nicht überfordernde Übungsspaziergänge rund um einen Park in die Stadt mache, unter 14 tägiger Supervision der Trainerin, unterbrochen von viel Spiel und Spaß im Park, wird der Hund immer mutiger. In schwierigen Situationen sucht sie Schutz bei mir, anstatt mich mit der Leine in wilder Panik mit zu ziehen.
    Ich bin gespannt. was die „kleine Prinzessin“ und ich noch alles zusammen erleben und erreichen werden.
    Vielen Dank und weiter so,
    Christine Gurr-Molzberger
    P.S. Mein Hund und die Katzen schlafen entweder bei mir oder bei menem Sohn im Bett.

      Johanna Pelz sagt:

      Hallo Christine,
      ich freue mich, dass Ihr nach langer Suche endlich eine gute Trainerin – und vor allem – Euren Weg gefunden habt!
      Alles Gute weiterhin für Euch!
      Herzliche Grüße,
      Johanna

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