„Das eine störende Verhalten“

oder: Wie alles ein großes Ganzes ergibt.

Wer kennt das nicht: Dieses EINE Verhalten an seinem Hund, das man so gerne in den Griff bekommen möchte. So hören wir auch im Trainingsalltag häufig die Aussage: „Eigentlich ist er total unproblematisch…nur das Verhalten XY stört.“
Nehmen wir als Beispiel einen Hund, der eigentlich problemlos mitläuft, der aber, sobald er einen anderen Hund sieht, Augen und Ohren für seinen Halter verschließt und auf den anderen Hund zustürmt, ungeachtet, was sein Mensch hinter ihm für Anstalten macht, dieses zu unterbinden.
Der Wunsch des Hundehalters ist natürlich, dieses Problem zu lösen. Die Erwartungshaltung entsprechend, dass beim Training genau an diesem Thema gearbeitet wird – am besten sofort und ohne Umschweife.
Dieses ist aber nicht immer ausreichend, bzw. sinnvoll.
Warum?
Als „Betroffener“ sieht man oft nur das eine, beschriebene Thema. Ein Außenstehender, z.B. ein guter Trainer, sieht aber das „große Ganze“ bei einem Mensch-Hund-Team.
In der Kombination Mensch-Hund geht es nämlich selten um ein Thema. Vielmehr ist dieses ein Ausdruck für die gesamte Kommunikation und Konstellation -und in dieser gibt es häufig andere Störfaktoren, die an anderer Stelle zu finden sind.

Um einige Beispiele zu nennen:

  • Von einem Hund, der sich bereits im Haus aufspult, weil er so aufgeregt ist nach draußen zu kommen, kann man draußen keine ruhige Leinenführigkeit erwarten.
  • Ein Hund, der nicht von einer Schnüffelstelle abrufbar ist, wird sich nicht beim Anblick eines Hasen zu seinem Menschen umdrehen.
  • Ein Hund, der seinen Menschen an der Leine ausblendet, wird nicht auf ein „Stop“ hören, wenn er einen anderen Hund sichte.
  • Ein Hund, der sich auf das Kommando „Sitz“ ins „Platz“ legt, und merkt, dass dieses durchgeht, wird auch an anderer Stelle schauen, wie ernst Ansagen wirklich zu nehmen sind…

Die Reihe kann endlos fortgeführt werden.

Es ist daher wichtig, die zusammenhängenden Faktoren zu betrachten sowie den Ursprung zu erkennen und sich zu fragen: „Wo fängt das störende Verhalten wirklich an?“
Bleiben wir beim Beispiel des an der Leine ziehenden Hundes: Hier setzt ein Training, wenn es wirklich etwas verändern soll, nicht mit der Leinenführigkeit draußen an, sondern stattdessen im Haus, nämlich damit, dass der Hund auch beim Anlegen des Halsbands Ruhe einhält…
Bei dem Hund, der beim Anblick eines anderen Hundes die Ohren verschließt und „durchstartet“ übe ich konsequenten (!) Rückruf zunächst dort, wo die Reizlage niedrig ist und es noch keine anderen Hunde gibt und steigere die Reizlage langsam über Stellvertreterkonflikte, so das mein Hund überhaupt anfängt, mich wahr- und ernst zu nehmen und den Rückruf wieder als verbindlich und nicht als „Richtlinie“ erlebt.
Dabei gilt: „Schludere“ ich hier bei der Konsequenz, weil ich meine, dass es ja z.B. nicht so darauf ankommt, ob mein Hund beim ersten, zweiten oder dritten Mal Rufen kommt, weil es ja nur um eine Schnüffelstelle geht, lernt mein Hund nur dadurch, dass mein Rückruf nicht ernst zu nehmen ist. Lasse ich ständig „Sitz“ statt „Platz“ durchgehen, erlebt mein Hund, dass Kommandos dafür da sind, flexibel interpretiert zu werden – und versteht demnächst statt „Hier“ vielleicht „Lauf“… Smilie: ;)

Es bleibt daher: Es ist selten das „eine“ Verhalten. Wenn man ganz genau hinschaut, sieht man eine Reihe von Faktoren, die miteinander zusammenhängen und ein Ganzes bilden. Will man also ein Verhalten nachhaltig verändern, so ist es Unsinn (und meist unmöglich!) das „eine“ Verhalten isoliert vom Rest zu betrachten. Es gilt, alles im Blick zu haben, und dann an den richtigen (!) Stellschrauben zu drehen – und die liegen oft bereits dort, wo wir sie noch gar nicht vermuten – nämlich ganz an der Basis….

(c) Johanna Pelz, www.miteinanderlernen.de
Der Text darf unter Angabe des Copyrights gern geteilt werden.

Kategorie(n): Allgemein, Führung, Irrtümer in der Hundeerziehung

3 Antworten auf „Das eine störende Verhalten“

  1. Liebe Johanna,

    wir haben genau so ein Exemplar zu Hause. Wir haben ihn erst vor einigen Wochen aufgenommen und sind im Umgang mit Hunden eher unerfahren. Wir müssen nun „schmerzhaft“ feststellen, dass Konsequenz eben auch „durchhalten“ und „Geduld“ bedeutet. Dein Artikel hilft mir sehr dabei zu erkennen, wo die Probleme wirklich liegen und dementsprechend an uns zu arbeiten – mit dem Hund. Vielen Dank dafür!

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